Die Florenreservate in Lorch/Rh. und Schlangenbad-Hausen - Mosaiksteine des botanischen Artenschutzes und der Kulturgeschichte

Wolfgang Ehmke

 

Wer kennt noch Ackerblumen und Weinbergskräuter wie Kornrade, Feldrittersporn, Frauenspiegel, Acker-Gelbstern und Traubenhyazinthe in freier Wildbahn? Abgesehen von den Herkünften aus bunten Gartenblumenmischungen, die in manchen Vorgärten zu sehen sind, gelten viele der früher häufigen „Segetalpflanzen" (von lat. seges – die Saat oder der Acker) in unserer Gegend als ausgestorben bzw. vom Aussterben bedroht. Woran liegt das?

In Mitteleuropa hat die frühere, traditionelle Landwirtschaft vor dem Beginn des Industriezeitalters eine vielgestaltige Landschaft geschaffen, die – je nach den ökologischen Gegebenheiten – mit zahlreichen Pflanzen- und Tierarten ausgestattet war.

Nach der Industrialisierung und stark zunehmend mit dem „Wirtschaftswunder" nach dem 2. Weltkrieg haben sich tiefgreifende Änderungen in der Landnutzung und damit auch in der Artenausstattung der Kulturlandschaft – so auch im Taunus – vollzogen. Die heutige „normale" Form des Intensiv-Ackerbaues ist somit die Hauptursache für den Artenschwund der Ackerwildkrautflora. Eine zukünftige Regeneration dieses nicht unerheblichen Anteils unserer heimischen Vegetation erscheint nur möglich, wenn an manchen Standorten noch

Reliktgesellschaften erhalten bleiben, die sich unter veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Extensivierung) dann eventuell wieder ausbreiten könnten. Bereits ausgerottete oder verschollene Ackerwildkräuter (Segetalpflanzen) können – abgesehen von gezielter Ausbringung – nur durch Zuwanderung wieder Teil unserer Flora werden. Dies setzt aber ökologisch geeignete Zuwanderungswege (Biotopverbundsysteme) bzw. extensive Nutzungs-verhältnisse voraus. Auf grossen Flächen sind diese aber nicht gegeben – auch nicht im Mittelgebirge des Taunus trotz relativ armer Böden und rauem Klima. Und auch die von der grossen Politik versprochene „Agrarwende" wird noch lange auf sich warten lassen.

Deswegen entstand die Idee der Florenreservate, um wenigstens punktuell den Segetalpflanzen das Überleben zu ermöglichen, bis eine grossflächige Extensivierung wieder normale Lebensverhältnisse auf den Äckern herstellt. Solche Reservate erscheinen auch deshalb sinnvoll, weil die Ackerwildkräuter – besonders ihre auffälligen Vertreterinnen wie Mohn, Kornblume, Rittersporn, Kornrade usw. – in der Bevölkerung einen hohen Sympathiewert geniessen. Ihr Vorkommen wird nicht nur als Bereicherung des Landschaftsbildes, sondern auch als Symbol für gesunde Äcker und gesunde Ernährung betrachtet.

Die Ziele der Florenreservate können also folgen-dermassen umrissen werden:

- Erhaltung und Wiedereinführung der heimischen

Ackerwildkrautflora im Taunus sowie der

Weinbergflora im Rheingau durch extensive

Nutzung und Anbau alter Kultursorten

- Nachahmung der früheren landwirtschaftlichen

Betriebsweise (z.B. Dreifelderwirtschaft,

Terrassenweinberge) als Beitrag zur Kenntnis

der Landschafts- und Siedlungsgeschichte

- Information der Öffentlichkeit durch Hinweis-

tafeln, Broschüren, Führungen, Tagungen usw.

- somit Schaffung eines – wenn auch bescheide-

nen – Beitrages zur Förderung des naturbezo-

genen Tourismus.

Das Feldflora-Reservat Hausen v.d.H. (FFR)

Das FFR liegt in der Gemeinde Schlangenbad beim Ortsteil Hausen vor der Höhe. Es ist ca. 150 m lang und 20 m breit und liegt am Rand einer Hecke bzw. eines Grasweges. Dies erlaubt den möglichen Eintrag von Wildkraut-Diasporen in die Ackerfläche.

Das Feld wurde in die Förderung nach dem Hessischen Landschaftspflegeprogramm (HELP) aufgenommen; der Landwirt erhält eine Vergütung von

DM 800.- pro Hektar und Jahr. Dafür muss er auf den Herbizideinsatz und auf das Düngen völlig verzichten und bestimmte Kulturen wie Mais und Raps

aus der Fruchtfolge nehmen. Die übliche Fruchtfolge ist hier Winterroggen – Sommergerste. Ausserdem wird der Landwirt dazu angehalten, die Stoppel im Herbst lange liegen zu lassen, damit sich die Wildkräuter mit später Reifung noch aussamen können.

Die Frage des richtigen Saatzeitpunktes sowie der Saatmenge muss im Verlauf der Untersuchungen geklärt werden. Auch die Ernteverfahren bedürfen noch der Erprobung – sowohl was den Zeitpunkt als auch was die Methode anbelangt. Bei der ersten Ernte haben wir Roggen und Dinkel auf kleiner Fläche nach traditioneller Art mit dem „Kornreff" gemäht. Dies geschah vor allem aus Demonstrationsgründen. Dazu gehörte auch das Aufstellen von „Kornpuppen" oder „Korngarben". Den Rest der Druschfrüchte besorgte dann der Mähdrescher. Die anderen Früchte werden von Hand geerntet. Das geht natürlich nur in einem FFR mit kleiner Fläche.

Um bestimmte seltene Pflanzengesellschaften zu fördern, soll auf einigen Parzellen stets dieselbe Kulturart angebaut und für die Aussaat das selbst gewonnene Saatgut der vorangegangenen Ernte verwendet werden. Dies ermöglicht es den Samen der Wildkräuter, sich langsam zu vermehren und die entsprechende Gesellschaft aufzubauen. Eine weitere Voraussetzung dafür – wie für das ganze Projekt – ist die Sicherung der Kontinuität der Bewirtschaftung und der Förderung für den Landwirt. Hiermit steht und fällt das ganze Vorhaben.

Die Parzelleneinteilung des FFR (s. Abb. 1) ist noch nicht endgültig. Bisher liegen sieben Parzellen von 10 x 10 m vor. Ausdehnungsmöglichkeiten sind vorhanden.

Folgende Kulturen sind für den Anbau 2002 auf den Parzellen vorgesehen:

Sommergerste, Buchweizen, Schlafmohn, Hanf, Ackerbohne oder Linse, Dinkel, Emmer, Einkorn, Färberwaid, Winterroggen, Lein, Kolben- und Rispenhirse.

Bis jetzt sind im FFR 74 Wildkrautsippen gefunden worden. Davon gelten fünf Sippen als gefährdet im Sinne der diversen Roten Listen (Chrysanthemum segetum = Saat-Wucherblume, Galeopsis segetum = Saat-Hohlzahn, Lithospermum arvense = Acker-Steinsame, Misopates orontium = Acker-Löwenmaul, Valerianella rimosa = Gefurchter Feldsalat). Nur die Saat-

Wucherblume kam vor Beginn der Extensivierung auf der Fläche schon vor; alle anderen Arten haben sich von selbst im ersten Jahr der Massnahmen eingestellt. Dieser erfolgreiche Anfang lässt hoffen!

Mittels Informationstafeln an den einzelnen Parzellen wird auf Ziele und Inhalte des FFR verwiesen. Ein informatives Faltblatt in grosser Auflage liegt bei verschiedenen Stellen aus und wird bei Veranstaltungen und Führungen verteilt.

Der Druck einer umfangreicheren Bilderbroschüre ist nach Vorliegen weiterer Ergebnisse vorgesehen.

Im Sommerhalbjahr werden regelmässig Führungen zum FFR durch sachkundige Personen angeboten.

Diese wurden bisher sehr gut angenommen, so dass das FFR bereits von mehreren Hundert Interessierten aufgesucht wurde. Ein erster Höhepunkt in der Öffentlich-keitsarbeit war die Verleihung des Preises „Goldene Natur 2001" durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt.

Diese Anerkennung stellt das Projekt auf noch solidere Füsse und spornt die Mitwirkenden an. Die Idee des FFR fand in dem Dorf Hausen so breite Zustimmung, dass sich im letzten Jahr ein Kulturlandschaftsverein gründete, der weitere landschaftsbezogene Aktivitäten wie die Einrichtung eines Lehrpfades, eines Schaugartens und einer Wetterstation (Luftkurort!) plant.

 

Das Weinbergflora-Reservat Lorch (WFR)

Zu den beeindruckendsten Zeugnissen unserer Kulturlandschaft gehören die Weinbergterrassen an den Steilhängen des Rheintales von Rüdesheim bis Lorchhausen. Solche alten, historisch gewachsenen Weinberge mit Trockenmauern und Steintreppen kamen vor rund 2000 Jahren mit den Römern zu uns und prägen dort, wo sie noch nicht „wegbereinigt" wurden, entscheidend das Bild der Rebfluren und Landschaft. In ihnen vereinigen sich eine abwechslungsreiche Naturausstattung mit nicht minder interessanten kulturellen Leistungen unserer Vorfahren. Denn Mauern, Treppen, Weinberghäuschen, Hohlwege, in den Fels gehauene Wappen und Unterstände sind ebenso schutzwürdiges Kulturerbe wie die Artenvielfalt der auf diese Sonderstandorte spezialisierten Flora und Fauna. Dies gilt in besonderem Masse in einer Landschaft wie dem Mittelrheintal, wo grosse Rebfluren bereits bereinigt wurden und jetzt allmählich das Bewusstsein für die notwendige Erhaltung der Kulturlandschaft wächst (Stichwort UNESCO-Weltkulturerbe).

Die früher an sonnenexponierten Steillagen angelegten Steinterrassen verbesserten nicht nur die Bewirtschaftung und Begehbarkeit der Rebfluren, sondern bereicherten auch die Standortvielfalt in der Landschaft. Das charakteristische trocken-warme Kleinklima der Weinberge – verstärkt durch einen hohen Steinanteil im Boden – bietet beste Voraussetzungen für wärmeliebende Tiere und Pflanzen. Gerade die Gemarkungen von Lorch/Rh.weisen zahlreiche Fundorte submediterraner Arten auf; deshalb auch die Häufung von Naturschutz-gebieten.

Nachdem alte Weinberge mittlerweile zu den stark bedrohten Lebensräumen gezählt werden müssen, sind Massnahmen zu ihrer Erhaltung bzw. Wiedereinführung an geeigneten Stellen dringend erforderlich. Die einzige derartige Fläche im Rheingau ist bisher das Weinbergflora-Reservat in Lorch. Neben den unten erwähnten Pflanzenarten weist es seltene Tierarten wie Mauereidechse, Zippammer, Blauflügelige Ödlandschrecke u.a. auf. Mit dem Erscheinen weiterer typischer Weinbergarten ist bei Fortsetzung der jetzigen Nutzung zu rechnen.

Das WFR wurde 1997 im Rahmen der Rebflur-bereinigung vom Ökoweingut Graf von Kanitz angelegt, indem eine bereits zugewachsene Weinbergbrache von Dorngebüsch befreit und hergerichtet wurde. Als Rebsorte pflanzte man eine Neuzüchtung der Geisenheimer Forschungsanstalt (Saphira), die als relativ unempfindlich gegen Krankheiten und Schädlinge gilt. Schliesslich sollte der Weinberg weder gespritzt noch gedüngt werden. Die Reben werden an hohen Pfählen gezogen (Umkehrerziehung), um den Aufwand für Schnittarbeiten möglichst gering zu halten. Auch die Bodenbearbeitung ist minimiert; sie beschränkt sich auf zwei- bis dreimalige Mahd des Bodenbewuchses pro Jahr.

Bedingt durch diese extensive Nutzung hat sich auch hier eine reichhaltige Flora eingestellt, von der an dieser Stelle nur die gefährdeten Arten erwähnt werden können. Es wurden insgesamt 53 Pflanzensippen notiert, davon 6 der Roten Listen: Achillea nobilis = Edle Schafgarbe, Allium rotundum = Runder Lauch, Anagallis foemina = Blauer Gauchheil, Holosteum umbellatum = Spurre, Lepidium graminifolium = Grasblättrige Kresse und Misopates orontium = Acker-Löwenmaul.

Ob sich weitere typische Weinbergkräuter wie die Wilde Tulpe oder die Traubenhyazinthe wieder einstellen werden, ist aus zweierlei Gründen sehr zweifelhaft:

es handelt sich dabei meist um Geophyten, d.h. Zwiebel-gewächse. Da diese schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr im unteren Rheingau gesichtet wurden, ist ihr Wiederaufleben aus noch vorhandenen Zwiebeln äusserst unwahrscheinlich. Zum anderen waren die Weinbergs-geophyten auf die traditionelle Bodenbearbeitung durch die Winzer eingestellt. Bis zu viermal im Jahr wurde mit dem „Karst" – der Weinberghacke – der Boden aufge-lockert. Da dies im WFR aus naheliegenden Gründen (wer soll das bezahlen?) nicht geschehen kann, ist auch nicht mit dem Wiederauftauchen solcher spezialisierter Weinbergpflanzen zu rechnen.

 

Beide Flächen – sowohl das FFR als auch das WFR – sind Teil des Artenhilfsprogrammes für Ackerwild-kräuter im Rheingau-Taunus-Kreis. Dieses Programm wird vom Nassauischen Verein für Naturkunde unter-stützt. Über den Fortgang des Projektes kann man sich auch im Internet informieren (www.naturkunde-online.de oder www.wolfgangehmke.de).

Hinweis zu Veranstaltungen:

Beide Reservate werden 2002 vom Nassauischen Verein für Naturkunde bei Exkursionen aufgesucht:

Mittwoch, den 19. Juni: Abendspaziergang zum

Feldflora-Reservat Hausen mit Apfelweinprobe

Treffpunkt: 19.00 Uhr am Dorfgemeinschafts-

haus Schlangenbad-Hausen v.d.H.

Ende ca. 21.00 Uhr

Samstag, den 17. August: Botanische Führung zum

Weinbergflora-Reservat Lorch mit

Öko-Weinprobe im Weingut Graf von Kanitz

Treffpunkt: 13.00 Hbf. Wiesbaden, Bahnfahrt

nach Lorch

Rückkehr in Wiesbaden gegen 19.00

Gebühr Mitglieder € 13.- sonst € 16.-

Begrenzte Teilnahmezahl! Anmeldung bis 15.7.

bei Herrn Zenker, Tel. 0611/801488.

 

 

(Dr. Wolfgang Ehmke)